Mit sensiblem Blick zeigt Goldgruber in großformatigen Schwarz-Weiß-Porträts die einzelnen Mannschaftsmitglieder. Der Künstler fokussiert die Kamera auf ihre empfindsamen Gesichter, nahe herangezoomt kann man ihnen nicht entkommen. Die Bildschärfe liegt auf den Augen. Doch die Flüchtlinge suchen nicht den Augenkontakt der Betrachterinnen und Betrachter, ihr Blick schweift in die Ferne. Er ist traurig und verletzlich, aber auch stolz und erhaben. So schält Goldgruber den einzelnen Menschen aus der Masse heraus, er lässt den anonymen Flüchtling zum Individuum werden. In einem Film fährt Goldgruber langsam an den Gesichtern der Jugendlichen vorbei, manche singen, andere summen, doch es ist nicht die Bundeshymne zu hören sondern ein Lied von Franz Schubert. Geschickt bedient sich der Künstler immer wieder romantischer Mittel wie dem Sehnsuchtsmotiv oder dem Blick des Erhabenen, gleichzeitig verwehrt er sich gegen eine zu romantisierende Sicht: Architekturfotografien und -filmaufnahmen zeigen die zum Teil improvisierten Spielstätten in einer nüchternen, desillusionierenden Ästhetik; ein anderer Film hält fest, wie die Fußballer Bälle gegen die Gitterwand eines Käfigfußballplatzes schießen. Das laute Aufschlagen auf die Drahtstäbe lässt das Aggressionspotenzial der Jugendlichen erahnen.
Das dokumentarisch-skulpturales Herausschälen von architektonischen Settings, die Fokussierung auf das einzelne menschliche Individuum, die Verbindung von suggestiven Bildern mit rhythmischen Geräuschen und romantischer Musik – all das lässt eine vielschichtige künstlerische Installation entstehen, in der es Goldgruber gelingt, der so emotional aufgeladenen Flüchtlingsthematik ein menschliches Antlitz zu geben. Und es wird deutlich, dass die Sportart Nummer eins weit mehr sein kann als nur ein Spiel.
Günther Oberhollenzer (Kurator im Essl-Museum, sowie freier Kurator und Autor, Wien), November 2015
Fußballkäfig am Yppenplatz in Wien, © Michael Goldgruber, 2015 (Symbolfoto)
Michael Goldgruber,
geboren 1965 in Leoben, lebt in Wien.
1986 – 1988 Fotografieausbildung bei Bernd Schilling, Werbe- und Produktfotografie, Wien, 1986 – 1989 ao. Hörer HS für angewandte Kunst (Meisterklasse Ernst Caramelle), Wien, 1985 – 1995 Studium Kunstgeschichte und Philosophie, Universität Wien, 2007 Österreichisches Staatstipendium für bildende Kunst, BMUKK, 2012 Auslandsstipendium des BMUKK für Fotografie, Cité des Arts, Paris. 2015 Artist-Residency in Brüssel (Contretype, centre pour la photographie). 2015 Prix Photo des „Concours international de la Quatrième Image“, Paris.
zahlreiche Einzelausstellungen 1988-2015 u.a. in Wien, Berlin, Zürich, Paris und New York,
zahlreiche Gruppenausstellungen 1988-2015 u.a. in Wien, Berlin, Zürich, Paris, Athen, Mexiko City, Santiago de Chile, Zagreb, Belgrad, Sarajevo, Nizhni Novgorod, ...
Filmscreenings u.a. in Wien, Graz, Berlin und Linz
Günther Oberhollenzer,
geboren 1976 in Brixen (Südtirol) studierte Geschichte und Kunstgeschichte in Innsbruck und Venedig sowie Kulturmanagement in Wien. Er ist Kunsthistoriker, Kurator und Autor und lebt in Wien. Seit 2006 arbeitet er als Kurator am Essl Museum (Klosterneuburg / Wien). Seit 2014 ist er Mitglied des Südtiroler Kulturbeirats und Lehrbeauftragter am Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 2014 ist sein Buch „Von der Liebe zur Kunst“ im Limbus Verlag, Innsbruck erschienen.